Woanders


Sie ist jetzt woanders. Aber wo ist dieses Woanders ?

Gibt es im Himmel eine Bahnhofs-Wartehalle oder ein Cafe ?

Sie hat nicht an so etwas geglaubt – ich schon.

 

Wir haben so viel Lustiges, Schönes und auch Trauriges gemeinsam erlebt. Und wir hatten kein Rezept für diese Freundschaft, wir konnten zusammen lachen und wenn nötig auch weinen. Immerhin hatten wir 36 Jahre zusammen.

 

Es gäbe so viele Geschichten zu erzählen. Manche fallen natürlich unter die Rubrik „Geheimnisse“ und da sollen sie auch bleiben. Ein paar kann man aber erzählen.

 

Nach jedem Treffen haben wir immer noch kurz telefoniert, um uns zu vergewissern, dass die andere wieder wohlbehalten zuhause angekommen ist. Erst dann konnte man beruhigt einschlafen. Nach einer feuchtfröhlichen Feier bin ich bei einem dieser Bist-Du-gut-nach-hause-gekommen-Telefonate am Hörer eingeschlafen. Es war wohl ein Glas zuviel gewesen. Sie hat ausgeharrt und nicht aufgelegt, bis ich wieder aufgewacht war. Natürlich hat sie mich jahrelang dafür ausgelacht.

 

Bei Gewitter blieb ich mit ihr am Telefon, weil Gewitter ihr Angst machte.

Sie blieb mit mir am Handy, wenn ich nach einem gruseligen Film nachts noch mit dem Hund Gassi gehen musste und meine Fantasie mit mir durchging.

 

Eisessen war ihre große Leidenschaft. Jedes Eis wurde aber schwesterlich mit meinem Hund geteilt. Genauso ging es mit den Keksen. Irgendwann wollte sie ein Schnitzel mit dem Hund teilen, worauf ich ihr sagte: „Der Hund darf kein Schweinefleisch essen.“ Typisch und absolut unverkennbar kam ihre prompte Antwort: „Ist sie eine Muslima ?“

 

Während längerer Autofahrten hab ich oft gesagt: „Da hinten ist ein Wald, da setz ich Dich aus. Du findest nie mehr heim.“

Dann kam sofort die Drohung: „Pass bloß auf, dann fange ich an zu singen.“ Das hätte ich nicht ertragen, singen war ja nun gar nicht ihr Ding. Damit hatte sie gewonnen.

 

Manchmal habe ich gesagt: „Hey, wenn Du es schaffst, fünf Minuten den Mund zu halten, gekommst Du 10 Mark von mir auf die Hand.“ Sie hat sich das Geld nie verdient. Fünf Minuten waren ihr einfach zu lang.

Was würde ich heute dafür geben, dieses Spiel nochmal mit ihr zu spielen.

 

In einer unserer Mittagspausen kamen wir auf die Idee, den Kollegen etwas zum Naschen mitzubringen. Der Bäcker hatte noch 14 Schokoküsse. Ich kaufte sie alle. Im Aufzug auf dem Weg ins Büro sagte sie: „Hör mal, 14 Stück teilt sich aber schlecht durch sechs Leute.“ Also haben wir uns erstmal jeder einen Schokokuss schmecken lassen. Nun war die Anzahl ja prima durch die Kollegen teilbar. Aber wir waren auf den Geschmack gekommen.

Der langen Rede kurzer Sinn: wir haben den Aufzug noch zweimal nach oben und wieder nach unten geschickt und gehofft, dass niemand zusteigt. Und wir haben alle, aber wirklich alle Schokoküsse selbst verköstigt. So kanns kommen, wenn man eine herrlich verrückte Freundin hat. Jahrelang haben wir darüber gelacht.




Und jetzt – sie ist Woanders – und ich immer noch hier.

Jetzt lacht und weint jede für sich allein.

 

Was wird aus den Plänen, die wir noch hatten ?

 

Sie wollte mir vorlesen, wenn meine Sehkraft mich im Stich lässt, mich anschreien, wenn mein Gehör versagt und mich anschubsen, wenn ich alt und merkwürdig werde.

 

Es waren gegenseitige Versprechen – füreinander da zu sein.

 

Alles ist anders gekommen.

Als die Worte weniger wurden, habe ich ihr gesagt: „Du gehst nur vor. Ich komme ganz bestimmt nach.“

Auch das konnte sie nicht glauben, dabei war es mir so ernst.


Ich wüßte gern wo das Woanders ist.

Vielleicht gibt es dort ein Telefon oder wenigstens einen Briefkasten ?

 

Auf jeden Fall werde ich sie suchen, wenn ich nachkomme.


In Erinnerung an Gaby  † 13.10.2017


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