Mut und Mutterliebe



Sie möchte so gern ein Eis.

Es ist Sommer, es ist heiss, und sie möchte sooooo gern ein Eis.

Mit Bananengeschmack und Zitrone.

Immer wieder fragt sie die Mutter, die immer wieder antwortet:

"Geh doch schnell rüber zur Eisdiele und hol dir eins."

Wenn das so einfach wäre. Sie ist erst 5 Jahre alt.

Und jetzt auf die Straße, drei Häuser weiter zur Eisdiele gehen,

ganz allein, dazu fehlt ihr der Mut.

Sie braucht zwar nicht über die Straße, es kann nichts passieren.

Aber sie traut sich nicht allein.

Irgendwann nimmt sie dann doch allen Mut zusammen und bekommt zwei Groschen in die Hand gedrückt für das ersehnte Eis.

Treppe runter, Haustür auf und schnell die drei Häuser passiert, steht sie tatsächlich in der Eisdiele. Herzklopfen.

Es ist eine italienische Eisdiele mit einem sehr hohen Tresen. Sie steht davor mit dem Geld in der Hand.

Aber niemand sieht sie, weil sie so klein ist. "Ich möchte ein Eis." sagt sie, aber so leise, dass keiner der Angestellten sie hört.

Es kommen Erwachsene, die sich Eis kaufen und wieder gehen. Sie steht immer noch da. Niemand macht auf sie aufmerksam.

Keiner beachtet die Kleine. Alle werden bedient - nur sie steht immer noch ungesehen da.

Nach einer Weile gibt sie auf. Sie hat immer noch Herzklopfen, weiß nicht, was sie machen soll.

Jetzt einfach nach hause gehen und sagen, dass sie keinen Mut hatte, sich nachdrücklich zu melden? Auch dazu fehlt der Mut.

Vielleicht schimpft die Mutter mit ihr, oder noch schlimmer, vielleicht wird sie ausgelacht.


Sie geht wieder auf die Straße und in den nächsten Laden. Hier kennt man sie und begrüßt sie freundlich.

Das Herzklopfen legt sich ein wenig. Hier fühlt sie sich sicher. Nach einigem Zögern kauft sie sich Esspapier und Brausepulver.

Eigentlich sollte es ja ein Eis sein.


Zuhause fragt die Mutter, wo denn das Eis sei. Sie sagt nur: "Ich hatte keine Lust mehr auf Eis."

Die Mutter nimmt sie in den Arm und sagt: "Nächstes Mal gibts dann wieder Eis. Und vielleicht geh ich mal mit."


Jahre später, sie ist längst erwachsen, erzählt sie der Mutter, wie es sich wirklich verhalten hat.

Die Mutter lächelt sie an und sagt: "Ich weiß, mein Schatz, ich weiß."


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