Sie hatte rotes Haar


Da stand sie nun vor mir. Achtzehn Jahre alt, eine Rothaarige mit Afrolook und der schärfsten Streifenjeans, die ich je sah.


Sie passte in unseren distinguierten Laden wie die Faust aufs Auge. Aber sie war total sympathisch und irgendwie cool. Deshalb ließ ich sie einen Test an der elektrischen Schreibmaschine machen.

Sie nahm die Stöpsel des Diktiergeräts in die Ohren und schrieb drauflos. Ich war gespannt. Der Text war nicht einfach, aber sie hatte die Ruhe weg und schrieb zügig. Während des Tippens schaute sie sich im Büro um. Schnell war sie fertig und ich begeistert. Die hätte ich gern als Sekretärin.

Nur wie sollte ich das Mädchen meinem Chef verkaufen?


Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.

Ein paar Tage später trat sie ihre neue Arbeitsstelle an und gleichzeitig schlich  sie sich beharrlich auf den Platz "der besten Freundin" in meinem Herzen. 


Sie platzte nicht lauthals in mein Leben. Es war wohl eher ein sanftes Ploppen, so wie die Tastatur der Schreibmaschine, an der sie ihren Test so grandios bestanden hatte.


Der Beginn einer langen Freundschaft.




So einige Jobs haben wir zusammen gemacht, viel Freizeit geteilt. Unseren Tennislehrer haben wir an den Rand des Wahnsinns getrieben und Sporttrainer in Lachkrämpfe versetzt. Wir waren viel unterwegs und haben keine Party ausgelassen. Es war ein Wettkampf, wessen Pony zuerst rausgewachsen war oder wieviel Eis man essen kann. Nach einer kostspieligen Akupunktur zur Dämpfung des Hungergefühls gingen wir erstmal lecker essen. Auf jeder Kirmes tranken wir an der ersten Bude Caipirinhas - danach drehten sich die Karussells schneller für uns. Wir mochten dieselben Bücher und Filme.


Wir waren Vertraute, Geheimnisträgerin, Komplizin und Schwester im Herzen, Zuhörerin und Seelenverwandte. Und wir hatten denselben Humor und dieselben Werte.


Mit Toleranz, Loyalität und Verläßlichkeit hatten wir uns eine Freundschaft gebastelt, die auf Vertrauen  basierte.


Wir waren uns wichtig.


Wenn ich sie anrief und fragte: "Störe ich?" kam über Jahrzehnte hinweg immer die gleiche Antwort: "Du störst nie."






Ein großes Glück, das 36 Jahre andauerte.

Dankbar.


Und wir dachten, wir hätten noch so viel Zeit.


Nichts ist mehr wie es war. Der Krebs hat sie mir genommen, meine Freundin mit dem roten Haar.


In Erinnerung an Gaby   † 13.10.2017


Share by: