Liebe kennt keine Zeit



Er besucht das Grab seiner Frau alle paar Tage. Sie fehlt ihm sehr. Es war eine gute Ehe mit schweren Kriegsjahren, Entbehrungen und Verlust. Sie haben zusammengehalten als alles auseinanderfiel. Und sie haben nie damit aufgehört. Die Nachkriegsjahre erlaubten ihnen auch schöne Erlebnisse.


Aber jetzt ist er allein und muss das Beste daraus machen. 


Am Nachbargrab steht eines Tages eine Frau, die ihm sofort auffällt. Und nicht nur das, sie gefällt ihm auch. Sie kümmert sich liebevoll um das Grab ihres verstorbenen Mannes. Er hat das Gefühl, dass sie mit ihm spricht. Und genau das macht sie auch. Das Dorf, in dem sie wohnen, ist klein. Man kennt sich, man weiß vom anderen.  Auch hier ist der Ehepartner nach langer schwerer Erkrankung gestorben.


Das geht einige Tage so. Irgendwann spricht er sie an. Sofort springt ein Funke über. Sie sind sich auf Anhieb sympathisch.  Sie können zusammen lachen. Sie erzählen sich ihr Leben.

Nach einer Weile lädt er sie zum Cafébesuch ein und sie nimmt an.


Sie lassen sich Zeit mit dem Kennenlernen. Er ist 60 Jahre alt und sie ein paar Jahre jünger. Da schaut man schon genauer hin. Und sie hat immer noch die letzten Worte ihres Mannes im Ohr: "Bleib nicht allein, aber wähle vorsichtig."


Er ist ein humorvoller Kerl, vielleicht auch ein Filou - genau kann sie es nicht einordnen. Und er will mehr. Sie auch - aber ist er der Richtige? Schaut er nicht auch nach anderen Frauen? Im kleinen Dorf bleibt nichts verborgen.


Sie hat das Herz auf dem rechten Fleck und stellt klipp und klar die Regeln auf. Macht ihm sehr deutlich, dass sie nur an einer richtigen Beziehung interessiert ist und nicht mal so zwischendurch sein Liebchen sein will. Nein, dafür ist sie sich zu schade.


Das imponiert ihm.

Und . . .  er lässt sich darauf ein.

Denn sie gefällt ihm immer mehr.


Sie passen zusammen, dass es eine wahre Freude ist. Die beiden haben sich nicht gesucht, aber gefunden. Jeder ist um des anderen Wohl bedacht und die gegenseitige Wertschätzung nicht zu übersehen. So viel ehrliches Gefühl in so großzügiger Art und Weise, eher verschwenderisch dargeboten - das ist Liebe.


Hier drehen wir an der Uhr und schauen  25 Jahre weiter.

Nichts hat sich verändert. Einzeln befragt, sagen beide unabhängig voneinander, dass sie die große Liebe noch einmal gefunden haben.

Jeder konnte das spüren. In Gegenwart der beiden fühlte man sich geborgen, aufgehoben und eingebettet in das große Gefühl, welches sie verband.


Inzwischen hat der Schöpfer sie beide zu sich gerufen. Ich vermute, dass er sie wieder zusammengeführt hat. Das kann gar nicht anders sein.


Nun liegen ihre Gräber nebeneinander auf dem Friedhof, wo alles begann. Und wenn Du ganz still bist, kannst Du sie hören.


In Erinnerung an  Gerd        † 13.10.2011

In Erinnerung an Irmgard  † 13.10.2020


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